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Stadt und Religion

Foto der Inschrift mit dem Text "Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir ..." und mit Daten zur Einweihung, Zerstörung und Wiederaufbau der Kirche. Inschrift Johanniskirche, Quelle: Dr. Patricia Löwe Inschrift Johanniskirche; Quelle: Dr. Patricia Löwe

Religionen prägen seit jeher das urbane Zusammenleben. Sie werden in der Stadt sichtbar durch die Gestaltung ihrer sakralen Orte und Versammlungsräume. Allein in Berlin sind heute etwa 250 Religionsgemeinschaften vertreten, die fester Bestandteil der großstädtischen Lebenswelt sind. Wie wirken Religionen aber auf die Stadt? Wie interagieren sie mit urbanen Lebenswelten, wie werden sie wahrgenommen? Und welchen Einfluss können - und sollen - Religionsgemeinschaften auf das Leben, Wohnen und Bauen in den Städten nehmen? Diesen und weiteren Fragen widmet sich das Projekt „Stadt und Religion“ der Guardini Stiftung e.V., das im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik gefördert wird.

Im Gespräch mit Frau Lewandowska und Frau Dr. Löwe stellen wir Ihnen hier das Projekt vor:

Die Guardini Stiftung greift vielfältige Fragen von Wissenschaft, Kunst und Religion als gesellschaftliche Bezugssysteme für das Handeln der Menschen auf. Mit dem im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik geförderten Projekt „Stadt und Religion“ möchten Sie einen Beitrag zur Förderung des Dialogs zwischen Wissenschaft und Glauben leisten und nehmen dabei explizit die Schnittstelle von Stadt und Religion in den Blick. Wie entstand in diesem Zusammenhang die Idee für Ihr Projekt?

Urbane Lebenswelten in all ihren Facetten sind schon in den Gründungsjahren der Guardini Stiftung ein wichtiger Schwerpunkt gewesen. Die konkrete Idee zum Projekt hatte unser Präsidiumsmitglied Ludger Hagedorn, der schon in dem von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) finanzierten Vorgängerprojekt „DEKALOG“ engagiert war. Im Rahmen von „Stadt und Religion“ beschäftigen wir uns unter anderem mit Sakralbauten und den zugehörigen sozialen Einrichtungen, weil sie vielfach prägend für die Stadtentwicklung in Großstädten sind. Sakralbauten sind bis heute – nicht nur in der westlichen Welt – Mittelpunkte im Großstadtgefüge. Bitten Sie ein Grundschulkind, eine Stadt zu zeichnen, wird es vermutlich eine Kirche, ein Haus und einen Marktplatz zu Papier bringen. Das Christentum hat sich in seinen Anfängen als urbane Religion definiert. Religion und Stadt sind also zutiefst miteinander verbunden. Und aus der jahrzehntelangen Beschäftigung mit dieser Verbindung entstand die Idee für das Projekt.

Welche Fragen liegen Ihnen im Zusammenspiel von Religion und aktuellen Fragen der Stadtentwicklung besonders am Herzen, die Sie nun im Rahmen des Projektes aufgreifen?

Als die Guardini Stiftung 1987 gegründet wurde, war keineswegs ausgemacht, inwiefern Religion in Zukunft noch eine gesellschaftsprägende und identitätsstiftende Funktion erfüllen würde. Vielerorts ging man von der zunehmenden Marginalisierung des Religiösen aus. Die Gründer der Stiftung handelten also gewissermaßen antizyklisch – aber, wie wir heute wissen, auch hellsichtig. Wir haben unseren Sitz in Berlin, wo sich Schätzungen zufolge mittlerweile über 250 verschiedene Religionsgemeinschaften angesiedelt haben – nicht nur Christen, auch Menschen jüdischen Glaubens, Muslime, Hindus, Buddhisten und andere sind Teil dieses großstädtischen religiösen Pluralismus. Diese Gemeinden und Gemeinschaften leben nicht nur ihren Glauben in Berlin, sondern prägen die Stadt auch durch Gebäude und Institutionen: Kindergärten und andere soziale Einrichtungen zum Beispiel, aber auch Kulturinstitutionen und nicht zuletzt natürlich Friedhöfe. Sakrale Gebäude wie Moscheen und Kirchen sind wichtige Orientierungspunkte in der Stadt und sie stiften auch Identitäten in Kiezen und Nachbarschaften.

Im vergangenen Jahr haben Sie bereits eine Vielzahl von Religionsgemeinschaften im Rahmen öffentlicher Exkursionen in Berlin besucht. Welcher Ort hat Sie am meisten überrascht?

Überrascht haben uns auf die eine oder andere Weise eigentlich alle Gemeinschaften, die wir besuchen durften. Besonders in Erinnerung geblieben ist aber die Exkursion zur Ibn Rushd-Goethe Moschee. Es handelt sich um eine liberale muslimische Glaubensgemeinschaft, die großen Wert auf Religionsfreiheit und Geschlechtergerechtigkeit legt. Die kleine Gemeinde ist Untermieterin der Evangelischen Kirchengemeinde Tiergarten und hat ihre Räumlichkeiten im Hinterhaus der Johanniskirche in der Nähe der Turmstraße. Zwischen beiden Gemeinden ist eine fruchtbare Symbiose entstanden. Es gibt gemeinsame Projekte und interreligiöse Gebete. Auch die evangelischen Gläubigen, die anfangs skeptisch waren, sprechen heute begeistert von „unserer Moschee“. Aber es gab auch viele andere besondere Begegnungen. Das Berlinprojekt zum Beispiel, eine freikirchliche christliche Gemeinde, feiert Gottesdienste im Kino Babylon. Die Alevtische Gemeinde zu Berlin leistet vorbildliche Integrationsarbeit. In St. Adalbert in der Spandauer Vorstadt möchte die internationale katholische Gemeinschaft Chemin Neuf ein ökumenisches Zentrum mit Studentenwohnheim einrichten. Es gibt eigentlich überall etwas zu entdecken.

Und welche Themen wurden von den Teilnehmenden am intensivsten diskutiert?

Das ist sehr unterschiedlich. Unser Publikum ist sehr divers zusammengesetzt. Da gibt es Politiker, Wissenschaftler, Architektur- und Kulturinteressierte, Atheisten und religiöse Menschen. Es hat sich aber herausgestellt, dass jede Gemeinde ihr eigenes Thema mitbringt. In der Ibn Rushd-Goethe Moschee haben wir beispielsweise intensiv über die politische Akzeptanz des Religiösen diskutiert. In der Alevitischen Gemeinde stand eher das Thema Integration im Mittelpunkt. Manchmal geht es durchaus auch um Fragen des Geldes und der Finanzierung von Bauvorhaben oder sozialen Projekten.

Das urbane Zusammenleben in Berlin ist von Pluralität und Vielfalt geprägt. An welchem Berliner Beispiel lässt sich die integrative Kraft von Religion für die Quartiersentwicklung und für das soziale Miteinander im Quartier besonders gut erkennen?

In dieser Hinsicht war unsere Exkursion zum Internationalen Pastoralen Zentrum (IPZ) in Neukölln sehr erhellend. Das IPZ hat seinen Sitz im Pfarrhaus der katholischen Kirche St. Eduard im Kranoldkiez und ist eine interkulturelle und internationale Begegnungsstätte. Im Stadtteil Neukölln gibt es einen großen Bedarf an sozialen Einrichtungen, die sich auf Integration und kulturelle Vielfalt spezialisieren. Circa 85.000 der 162.000 Einwohner haben einen Migrationshintergrund. Dieser Bedarf kann politisch nicht annähernd abgedeckt werden. Die Mitarbeiter der Begegnungsstätte agieren aus ihrer christlichen Identität heraus und beschreiben, dass sich Kirche einerseits für die Welt öffnen müsse, aber andererseits auch ein Schutzraum für Menschen sei, die Schutz nötig haben.

Ein ereignisreiches Projektjahr 2018 liegt bereits hinter Ihnen und für das Jahr 2019 haben Sie vielfältige Aktivitäten geplant. Wie geht es weiter? Welcher Meilenstein steht als nächstes auf Ihrem Programm?

Zunächst geht im Mai die Exkursionsreihe in eine neue Runde. Wir planen unter anderem eine Exkursion zur Wilmersdorfer Moschee, der ältesten Moschee Deutschlands, die bereits in den Zwanzigerjahren ziemlich exponiert errichtet wurde. Im Laufe des Jahres werden wir wieder insgesamt sechs Gemeinschaften besuchen. Auch die zum Projekt gehörende Hochschulkooperation zwischen der Brandenburgisch Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin wird mit gemeinsamen Lehrveranstaltungen fortgesetzt. Im September eröffnet dann in der Guardini Galerie unsere neue Fotografieausstellung „Heilige und verfluchte Orte“. Und im November veranstalten wir zum gleichen Thema unsere nächste große Jahreskonferenz. Wir sind sehr gespannt auf die Begegnungen und Erkenntnisse, die uns 2019 erwarten, und hoffen, weiterhin auf ein so überwältigendes Interesse des Publikums.

Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg mit dem Projekt! Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Porträt von Frau Dr. Löwe Frau Dr. Löwe, wissenschaftliche Referentin der Guardini Stiftung e.V. Quelle: Guardini Stiftung e.V.

Das Projekt "Stadt und Religion" wird im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) / Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) gefördert.

Weitere Informationen zum Projekt finden Sie unter:
http://www.guardini.de

Ein weiteres Projekt zum Themenfeld Kirche und Stadt finden Sie hier:
Kirche findet Stadt. Innovations- und Experimentierfelder für eine partnerschaftliche Entwicklung lebenswerter Quartiere

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