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Die Stadt von der anderen Seite sehen

Wie wollen wir in Zukunft leben und welche Stadt brauchen wir dafür?

Publikation erschienen!

Neue Akteure aus Kunst und Kultur beteiligen sich immer öfter an Prozessen der Stadtentwicklung. Das ist kein Zufall, denn viele Herausforderungen der Stadtentwicklung fordern heute Fähigkeiten, die jenseits des klassischen Planungsinstrumentariums liegen. In welchem Verhältnis stehen Stadtplanung, künstlerische Praktiken und Kulturinstitutionen zueinander?

Das gerade erschienene Buch „Komplement und Verstärker" versammelt Positionen aus unterschiedlichen Disziplinen, die einen Beitrag zur Debatte um innovative Prozesse und Methoden in der Stadtentwicklung leisten. Die Autoren reflektieren eine urbane Praxis im Wandel, mit neuen Akteuren und Organisationsformen. In diesem Sinne führt das Buch die Auseinandersetzung um Forschungsfragen und eine intervenierende Praxis fort, die sich im Rahmen des zweijährigen Pilotprojektes der Nationalen Stadtentwicklungspolitik „Die Stadt von der anderen Seite sehen“ am Schauspiel Köln herauskristallisiert hat. Thematisiert werden Kollaborationsprozesse zwischen kulturellen Akteuren und Stadtverwaltungen, die Konzeption von Dritten Orten und der Wandel von Institutionen.

Mülheim gleicht einem Labor, in dem ganz unterschiedliche Vorstellungen einer zukünftigen Stadtgesellschaft kontinuierlich neu verhandelt werden. Grund genug, einmal genauer hinzuschauen, denn vielleicht entscheidet hier das Gelingen von Veränderungsprozessen nicht nur über die Zukunft Mülheims, sondern beispielhaft über die Entwicklung der ganzen Stadt

Thomas Laue, leitender Dramaturg

Das Schauspiel Köln hat sanierungsbedingt für mehrere Jahre eine Interimsspielstätte im rechtsrheinischen Köln-Mülheim bezogen, einem Stadtteil, in dem viele Herausforderungen an eine zukünftige Stadtgesellschaft gebündelt auftreten: postindustrieller Strukturwandel, stark belastete Mobilitätsinfrastrukturen, Zuwanderung und Gentrifizierung. Hinzu kommen die Nachwirkungen des rechtsterroristischen Anschlages des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) im Jahr 2004.

Bereits in der ersten Interimsspielzeit hat sich das Schauspiel Köln neben dem klassischen Repertoirespielbetrieb intensiv mit dem Stadtteil Mülheim auseinandergesetzt. Durch seine Präsenz und seine aktive Beteiligung an der Entwicklung des Stadtteils mit künstlerischen Mitteln, ist das Schauspiel Köln zu einem wichtigen Motor innerhalb Mülheims geworden.

Ziele

Die heutige Stadtgesellschaft ist so vielfältig wie heterogen zusammengesetzt. Die Herausforderungen an die Organisation des Zusammenlebens sind so komplex, dass keine Institution oder gesellschaftliche Gruppe alleine funktionierende Lösungsansätze entwickeln kann.

Das Projekt setzt es sich deshalb zum Ziel, mit möglichst vielen unterschiedlichen Menschen und Gruppen, die von den Entwicklungen innerhalb des Stadtteils direkt oder indirekt betroffen sind, in Kontakt zu treten und gemeinsam mit ihnen eine Vision für die Zukunft zu entwerfen. Künstler treffen auf Architekten, Sozialarbeiter und Ökonomen, Politiker auf Bildungsforscher, Junge auf Alte, Alteingesessene auf Neuzugezogene. Erst aus dem Zusammenspiel vieler Perspektiven entstehen einzelne, partizipativ angelegte Kunst- und Praxisprojekte, die in einem offenen Arbeitsprozess weiterentwickelt, gebündelt und nach und nach zu einem Grande Finale verdichtet werden.

Kölner Carlsgarten Kölner Carlsgarten Kölner Carlsgarten Quelle: Tommy Hetzel

Dabei ist das Theater Motor des Dialogs und der öffentlichen Diskussion sowie künstlerisches Transportmittel für den Arbeitsprozess zugleich. Das ist in zweierlei Hinsicht neu: ein Theater versteht sich aktiv als Instrument der Stadtentwicklung und es setzt einen Prozess in Gang, der den Herausforderungen gegenwärtiger Stadtentwicklung auf innovative Weise gerecht wird.

Umsetzung

Die Lücke Die Lücke Die Lücke Quelle: David Baltzer

Das Projekt „Die Stadt von der andere Seiten sehen“ gliedert sich in mehrere Arbeitsschritte und Formate. In der Spielzeit 2015/16 begann die Phase der Bestandsaufnahme und Projektentwicklung. Die Spielzeit 2016/17 war als aktive künstlerische Projektphase konzipiert, die Kunst und Stadtentwicklung, Ökonomie und Sozialraum miteinander verband.

In mehreren Salons, durch Ortsbegehungen und Mappings, Gespräche mit lokalen Experten und Kooperationen mit Hochschulen wurden Themen identifiziert, die die Menschen im Stadtteil beschäftigen.

Beim öffentlichen Auftakt im März 2016 startete „Die Stadt von der anderen Seite sehen“ dann mit einer theatralen Konferenz unter dem Titel „Phase 1: Aufbruch in die Zukunft“ mit mehr als 200 motivierten und engagierten Stadtbewohnern. Ziel war es, den Stadtteil an zehn Orten in Workshops zu erkunden, die bisherigen Erkenntnisse zu überprüfen und neue Ideen und Bilder für den Stadtteil zu entwickeln.Hervorgegangen sind daraus mehrere sog. „Komplizenschaften“ (Kooperationen zwischen bisher fremden Akteuren). So entstand eine „Raumfähre“ mit der Künstlergruppe Labor Fou, ein Stadtteilmodell mit dem freien Theaterkollektiv „subbotnik“ und die „Mülheimer Wunderkammer“, eine Sammlung besonderer Gegenstände aus dem Stadtteil.

Zur Halbzeit des Projektes und im Übergang zwischen Recherche- und Projektphase fand im Oktober 2016 die zweite theatrale Konferenz statt. Hier wurde die atmosphärische und theatrale Aufladung von Orten durch Geschichten und Erlebnisse, durch Bewegung und Übergänge betrachtet. Die im November 2016 folgende internationale Diskussionsveranstaltung „Stadt und Theater Denken“, verhandelte Strategien von Theater zwischen Stadtentwicklung und Kunst mit Positionen von Theatermachern aus Wales und Brüssel, aus der Bürgerschaft, Stiftungen und Stadtplanern.

Den Abschluss des Projekts bildete das große Festival „Stadt von Morgen“. An vier Tagen wurden die künstlerischen Arbeiten und Projekte sowie die begonnenen Prozesse von allen beteiligten Akteuren gemeinsam verdichtet und die Ergebnisse präsentiert. Außerdem wurde in verschiedenen Formaten diskutiert, wie das Mülheim von morgen aussehen soll. Dazu wurde unter der Mülheimer Brücke eine „Agora“ als neuer Ort für die Verhandlungen der Stadtgesellschaft eingerichtet. Das Programm bot an vier Tagen Musik, Diskussionen, Ausstellungen, Kochen, Installationen und Weiteres mehr. In der abschließenden Debatte ging es insbesondere um die Frage, wie es weiter gehen kann.

Ergebnis

Die ungewohnte Initiative eines Theaters, das zum Akteur der Stadtentwicklung wird, hatte in Mülheim Erfolg. Gut besuchte Veranstaltungen haben gezeigt, dass die Verknüpfung von Stadtentwicklung und Kunst eine Chance darstellen kann. Mit Hilfe von Kunst und Theater konnten die Bürger einen neuen Blick auf Alltagsorte, Probleme, Menschen und Fragestellungen werfen.

Im Projektverlauf zeigte sich außerdem, wie der Ortsbezug immer stärker an Bedeutung gewann und ein unscheinbarer, von Verkehrslärm und informellen Nutzungen geprägter Platz unter der Mülheimer Brücke plötzlich in den Blick rückte. Diesen (wieder) zu entdecken und die Debatte um sein Potenzial und mögliche Nutzungen anzustoßen, ist ein echter greifbarer Erfolg des Projekts. Der Diskurs über neue Nutzungsmöglichkeiten wird auch nach dem Ende der Projektlaufzeit in einer Arbeitsgruppe weitergeführt.

Schon kurz nach Beginn von „Die Stadt von der anderen Seite sehen“ im Sommer 2015 war klar: das Schauspiel Köln bleibt zunächst für weitere Jahre im Stadtteil und Mülheim wird für die nächsten Jahre vom sogenannten „Interim“ zur „Hauptspielstätte“ des Schauspiels Köln. Auch nach dem Wiedereinzug in das sanierte Haus am innerstädtischen Offenbachplatz soll der Standort im Depot beibehalten werden.

Zusatzinformationen

Projektträger

  • Bühnen der Stadt Köln - Schauspiel Köln

Ansprechpartner

  • Bühnen der Stadt Köln
    Schauspiel Köln
    Offenbachplatz 50670 Köln

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