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Stadtentwicklung wird in Dessau als bürgerschaftlicher Prozess begriffen. Das Engagement der Bürger ist einer der wichtigsten Motoren im Stadtumbau. Die individuelle Aneignung von parzellierten Freiflächen ist Teil dieser kommunalen Strategie für neue Stadtlandschaften, die die Bürger eigenverantwortlich gestalten und pflegen. Dadurch wird bürgerschaftliche Verantwortung für die Stadtentwicklung aktiviert und die Stadt gewinnt neuartige Freiraumtypen hinzu.
Kontext
Quelle: Heike Brückner
Dessau (ca. 77.000 EW) hat über 20 Prozent der Bevölkerung verloren. Die damit verbundenen umfangreichen Leerstände und Brachen konnten mit den bisherigen Planwerken und traditionellen Leitvorstellungen nicht mehr adäquat behandelt werden. Angesichts eines prognostizierten Einwohnerrückganges um fast 50 Prozent zielt das Konzept darauf ab, urbane Stadtkerne zu stabilisieren und auf den frei gewordenen Flächen Schritt für Schritt einen ca. 90 ha großen Landschaftszug aufzubauen. „Stadtinseln – urbane Kerne und landschaftliche Zonen“ ist die strategische Antwort der Stadt Dessau-Roßlau. Das visionäre Konzept der „Stadtinseln“ findet seine konkrete Form in dem Projekt „400 m² Dessau“. Damit wird eine neue, flexible und dynamische Strategie mit vielfältigen Akteuren und Methoden erarbeitet.
Mit dem Konzept „400 m² Dessau“ setzt die Stadt darauf, den Stadtumbau „mit und durch Bürger“ zu gestalten. Bewohner, Träger kultureller Institutionen, Initiativen und Vereine können für Einzelflächen (Claims) im Landschaftszug Verantwortung übernehmen und nach eigenen Vorstellungen gestalten. Die Landschaftsmodule folgen einem einheitlichen Raster von 20 x 20 Metern und stellen trotz der zeitlichen und räumlichen Unbestimmtheit eine gestalterische und strukturelle Grundordnung her. Die Claims werden in ein Wegesystem eingebunden, den „Roten Faden“, der den wachsenden Landschaftszug erschließt. Rote Metallwimpel markieren den Weg und informieren über die jeweiligen Projekte. Gestalterische Gemeinsamkeit der Claims sind rote Holzeinfassungen und ein umlaufendes Schotterband.
Die Flächen werden den Akteuren unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Nutzungsvereinbarungen regeln die Grundzüge der Gestaltung und der Pflege. Jedem Projekt wird eine individuelle Erstausstattung (Baumaterial, Wasseranschluss, etc.) zur Verfügung gestellt. So entstanden bereits ein „Apothekergarten“ mit Heilpflanzen, der Verein „Energietisch Dessau“ experimentiert mit Energiepflanzen, das multikulturelle Zentrum Dessau bewirtschaftet einen Claim als Garten der Begegnung.
Gemeinsam mit den Bürgern wurde die Idee zukünftiger Landschaften entwickelt. Der größte Unterschied zu herkömmlichen Parkanlagen besteht im permanenten Wandel der neuen urbanen Landschaft im Sinne eines lernenden Prozesses. Die Stadt gewinnt einen völlig neuartigen Freiraumtypus, der nicht über Nutzungen und Funktionen vorprogrammiert wird, sondern seinen Charakter erst durch den allmählichen Prozess der In-Kulturnahme durch die Akteure und die Art der Bewirtschaftung erhält. Die Landschaft wird zum unmittelbaren Lebensraum und zum lebendigen Schaufenster der Stadt.
Das notwendige Flächenmanagement erfolgt über die ämterübergreifende Koordinierungsstelle Stadtumbau, die einmal monatlich tagt und aktuell anstehende Arbeitsschritte koordiniert. Eine wichtige Arbeitsgruppe ist die AG Flächenmanagement unter der Leitung des Vermessungsamtes. Die Stiftung Bauhaus Dessau bringt ihre fachliche Kompetenz in den Bereichen Ästhetik und Kommunikation mit ein. Die Kontaktstelle Stadtumbau der Agenda 21 ist eine gemeinsame Einrichtung beider Institutionen und koordiniert die Arbeit zwischen den Bürgern und der Verwaltung.
Im Flächennutzungsplan ist der Landschaftszug mit einer neuen Flächenkategorie „Flächen mit hoher Begrünung und geringer Solitärbebauung“ dargestellt. Diese ist in der Planzeichenverordnung nicht enthalten, gewährleistet aber ein hohes Maß an Flexibilität für die Umsetzung des Konzeptes. Auf informeller Ebene stützt der Leitfaden „Landschaftszug Dessau-Roßlau – Handlungs- und Gestaltungsvereinbarungen“ die prozessorientierte Planung des Landschaftszugs. Mit dem Abschluss der Nutzungsvereinbarungen zwischen Akteuren und Stadt kann die Entwicklung direkt gesteuert werden. Informelle „Spielregeln“ ergänzen die Verträge und regeln die Rahmenbedingungen. Jeder Einzelfall wird neu ausgehandelt, dabei werden die abgeforderten Pflichten der Partner an deren Möglichkeiten angepasst. Vereine müssen beispielsweise die Verkehrssicherungspflicht übernehmen, bei Einzelpersonen springt die Stadt ein.
Die Stadt strebt den Kauf der umzugestaltenden Grundstücke an. Pilothaft wurde an einem Beispielgrundstück im Landschaftszug für die in Aussicht genommene Nutzung ein Verkehrswert von 1,30€/m² gutachterlich ermittelt. Führen Kaufangebote nicht zum Ziel, versucht die Stadt ihre Gestaltungsvorstellungen über langfristige Gestattungsverträge (15 Jahre) mit dem Eigentümer abzusichern. Die Kosten von ca. 3.000 bis 4.000 Euro für die Herrichtung je Claim werden derzeit über Stadtumbaumittel, Programmteil Aufwertung, finanziert. Für die einjährige Mahd der extensiven Wiesen ist perspektivisch der Einsatz landschaftlicher Großmaschinen vorgesehen. Die entstehenden Kosten werden auf 3 Cent/m² geschätzt. Grundlage für die Pflege bildet ein Pflege- und Entwicklungsschema. Es zeigt Pflegebilder und eine Abfolgematrix, die die bestimmten Pflegeeingriffe vorgeben und illustrieren.
Um das Projekt offensiv zu kommunizieren wurde „400 m² Dessau“ als Marke inszeniert. Unter dem Wettbewerb „Roter Faden – Stadtumbau erzählen, Bürger aktivieren“ wurden weitere Ideen zur Kommunikation des Stadtumbaus entwickelt. Das Wegeleitsystem durch den Landschaftszug dient als Orientierung für die regelmäßig angebotene Stadtumbauspaziergänge und Aktionstage mit denen die Projektfortschritte in die Öffentlichkeit kommuniziert werden.
Chancen und Lösungswege
Unkonventionelles Handeln und hohe Motivation der Bürger
Schrittweiser Aufbau eines zusammen hängenden urbanen Landschaftsraums
Entwicklung neuer Freiraumtypen, die im sozialen und kulturellen Kontext entstehen
Identifikation der Bewohner mit ihrem Wohnumfeld durch Verantwortungsübernahme
Kostenextensive Pflege der Renaturierungsflächen durch Nutzer bzw. extensive Pflegeformen
Mögliche Beschäftigungseffekte im Rahmen des Pflegekonzeptes
Neue Freiraumtypen werden als öffentliche Orte in individueller Verantwortung etabliert. Die Marke 400 m² vermittelt vor der Stadtumbaukulisse eine positive Vision, die die Bewohner und soziale Akteure motiviert, Verantwortung für den öffentlichen Raum und für das Quartier zu übernehmen. Dadurch werden innovative Nutzungsformen gefördert, neue Landschaftsbilder erzeugt und zugleich die Identifikation der Bürger und die Integration verschiedener sozialer Gruppen gestärkt. Die einzelnen Schritte zur Umsetzung der Claims und des Landschaftszuges sind in verschiedene Gesamtstrategien (Stadtentwicklung, Freiraumkonzept, Quartiersentwicklung) eingebunden.
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) / Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) / Herausgeber: „Renaturierung - als Strategie nachhaltiger Stadtentwicklung“, Dokumentation von Fallstudien in der Reihe Werkstatt:Praxis, Heft 62, Bonn 2009, >> weitere Informationen