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Nationale Stadtentwicklungspolitik

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Drei Dutzend Menschen auf drei großen Stufen vor Steetart, Backsteinhalle und Gründerzeithäusern.

Kreative Stadtmacher fördern!

Hier die Städtebauförderung, die dieses Jahr 50 wird, dort eine Szene kreativer Stadtmacher, die sehr jung und quirlig ist. Wie geht das zusammen? Ein Gespräch mit Timo Munzinger vom Deutschen Städtetag und Professor Reiner Schmidt, der die stadtentwicklungspolitischen Potenziale kreativer Akteure erforscht

Bei der Städtebauförderung ging es immer schon darum, den öffentlichen Raum zeitgemäß für die Bedürfnisse der Bürger umzubauen. Wie hat sich das gewandelt?

Munzinger: Erheblich. Galt in den Anfangsjahren noch die Devise „abreißen und neu bauen“, hat sich die Städtebauförderung im Lauf der Zeit zu einem Instrument behutsamer Stadtentwicklung weiterentwickelt. Aufgrund der weitreichenden gesellschaftlichen Veränderungen und einer neuen Anspruchshaltung der Bürgerschaft musste immer wieder nachjustiert werden. Im vergangenen Jahr wurden beispielsweise Klima-Anpassungsmaßnahmen neu in die Städtebauförderung aufgenommen. Diese Weiterentwicklung hört nie auf. Aktuell sehen wir, wie die Bedeutung des öffentlichen Raums durch Corona erheblich steigt. Dementsprechend wird man ihn künftig auch in der Städtebauförderung intensiver behandeln müssen. Es gibt einen erheblichen Umbaubedarf.

Wie haben sich durch Corona denn die Anforderungen an den öffentlichen Raum verändert?

Munzinger: Der Fuß- und Radverkehr hat deutlich zugenommen und insgesamt hat sich die Nutzung des öffentlichen Raums stark ausgeweitet. Man sieht erheblich mehr Menschen, die sich treffen oder zusammen spazieren gehen. Dadurch erfährt der öffentliche Raum natürlich auch mehr Aufmerksamkeit: Die Leute nehmen wahr, ob sie damit zufrieden sind, oder ob ihnen etwas fehlt. Und sie ergreifen zunehmend die Initiative. Da wird dann eben selbst eine Bank aufgestellt. Sprich: Der öffentliche Raum füllt sich nicht nur mit mehr Menschen, sondern auch mit kritischem Bewusstsein und Mitgestaltungswillen.

Schmidt: Ich tendiere dazu, die heutige Situation mit dem Stadtumbau zu vergleichen, in dessen Folge große, frei gewordene Flächen zur Disposition standen. Der Stadtumbau hat nach der Wiedervereinigung dazu aufgefordert, über konstituierende Merkmale des Gemeinwesens Stadt neu nachzudenken. Das hat hier und da eine hohe Kreativität freigesetzt und zum Teil auch zu einem neuen Bild von Stadt geführt. Nun, da im stationären Einzelhandel vieles an Nutzungen wegbricht, wird erneut die Notwendigkeit von grundlegenden Transformationen unübersehbar - auch in Verbindung mit kollektiven Erfahrungen zum Wandel der Arbeitswelt, zur Bedeutung von Kultur und Bildung sowie zum Zusammenspiel staatlichen und zivilgesellschaftlichen Handelns. Wobei das Bewusstsein für Kooperation und Kommunikationskultur inzwischen unglaublich gewachsen ist. Es steht eine junge Generation bereit, die sich unaufgefordert mit ihrer Power in die Lösung gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen einbringt. Sie bringen vielfältige kooperative Stadt-Experimente auf den Weg und denken dabei integriert – wie man anhand der vielen Creative Places und Communities sehen kann, die sich überall formieren. Noch geschieht das eher in Nischen, sie strahlen aber zunehmend auch in ihr Umfeld und in die frei werdenden Räume aus. Es entstehen impulsgebende Mixed-Use-Immobilien und kreative „Micro-Quartiere“.

Was bedeutet das für den öffentlichen Raum?

Schmidt: Der öffentliche Raum der Zukunft ist informell und experimentell! In der heutigen Situation macht es aus meiner Sicht keinen Sinn mehr, den öffentlichen Raum als Solitär isoliert zu betrachten und zu gestalten. Es gilt, das Gemeinwesen Stadt und den Sozialraum Stadt, auch mit seinem Gebäudebestand und seinen Erdgeschoss-Zonen als Einheit zu begreifen.
Stadtgestaltung ist als aktivierende, kulturelle, performative und vor allem eigendynamische Stadtentwicklung neu zu denken. Die jungen Stadtmacher*innen tun das schon und entwickeln neue Formen des Miteinanders, des öffentlichen Raumes, des informellen Raumes und seiner Bewirtschaftung. Das Hannoveraner PLATZprojekt und die daraus hervorgegangene Gesellschaft für außerordentliche Zusammenarbeit (siehe stadt:pilot 19, S. 22) sind das beste Beispiel dafür. Jetzt muss es darum gehen, einen Rahmen zu schaffen, damit ausgehend von solchen und anderen Experimentierfeldern und Laboren die Transformation der Innenstädte und Quartiere befördert werden kann – weg von monofunktionalen Angeboten und hin zu neuen Formaten der Koproduktion von Stadt.

Der Kümmerer für den öffentlichen Raum war bislang vor allem der Staat, die Kommune. Nun pluralisiert sich das und es bringen sich verstärkt auch zivilgesellschaftliche Akteure ein. Wie trägt die Städtebauförderung dem Rechnung?

Munzinger: Ich denke, man sollte da nicht so sehr die Gegensätze sehen, sondern das Miteinander betonen. Stadtentwicklungskonzepte sind auch bisher nicht im stillen Kämmerlein von Experten entwickelt worden, sondern durchaus mit den Bürgern gemeinsam. Die Umsetzung dieser Konzepte erfolgte dann allerdings oft von gewerblichen Akteuren. Jetzt gibt es zunehmend informell organisierte Akteure, die umsetzen wollen. Das stellt die Städte vor neue Herausforderungen: Wie kriegt man diese kreativen Stadtmacher wirklich etabliert und verhindert, dass sie doch wieder von professionellen Entwicklern und den Marktkräften verdrängt werden? Damit Creative Places und Communities ein fester Bestandteil der Stadtentwicklung werden, braucht es neue Anreize, die nicht dem bisherigen Schema „finanzieren und bauen“ folgen. Denn das passt nicht mehr zu der experimentellen Art, wie dort die Dinge angegangen werden. Ich habe dazu einen konkreten Vorschlag: Den Anteil der Mittel für die Experimentierklausel in der Städtebauförderung erhöhen, um mehr Reallabore zu realisieren. Das wäre eine einfache Maßnahme, um flexibler zu werden.

Schmidt: Diese neuen Akteursgruppen, die sich jetzt im Umfeld von Stadtentwicklung engagieren, agieren zunehmend integrierend – es geht längst nicht mehr um plakative Gegenmacht-Strategien gegenüber Verwertern und Gentrifizierern, sondern um die Bündelung zivilgesellschaftlichen und unternehmerischen Engagements im Sinne gemeinwohlorientierter Stadtentwicklung. Dem muss man Rechnung tragen. Ich denke, dass es dafür nicht unbedingt neue Förderinstrumente, sondern einen flexibleren Einsatz der vorhandenen Mittel braucht. In dieser Hinsicht könnte die Städtebauförderung von der Kulturförderung lernen.
Darüber hinaus beobachten wir in der Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“, dass zunehmend private Immobilieneigentümer, lokale Gewerbetreibende, Gründer- und Kreativwirtschaftsförderer die Initiative ergreifen und gerne mit einzahlen, wenn es darum geht, lokale und regionale Standortgemeinschaften zu befördern. In Offenbach etwa haben die IHK und ein Zukunftsclub Innenstadt die ko-kreative Entwicklung eines Zunftskonzeptes für die Innenstadt maßgeblich mitfinanziert. Kurzum: Hinter den kooperativen Modellen, die sich da einspielen, sollten auch kooperative Finanzierungsmodelle stehen. Es kommt jetzt darauf an, all diese sich entfaltenden Potenziale am Leben zu erhalten und ihre Eigendynamik zu fördern. Auf gesamtstaatlicher Ebene ist die Nationale Stadtentwicklungspolitik sicher die richtige Plattform, um das Engagement der sehr unterschiedlichen Stadtmacher zu bündeln und einen Austausch herzustellen.

Diese Initiativen sind stark durch eine Eigendynamik von unten gekennzeichnet. Wie muss eine Finanzierung und Begleitung „von oben“ gestaltet sein, damit man ihnen diesen Schwung nicht nimmt?

Schmidt: Mannheim mit seiner kulturellen Stadtentwicklung und auch Offenbach mit seinem Zukunftsclub Innenstadt sind gute Beispiele, wie sich das im Alltag der Stadtentwicklung bewerkstelligen lässt: In Offenbach hat man als Steuerungsrunde für die Entwicklung ihres Innenstadtkonzeptes alle an einen Tisch gebracht und das nach einem Clubmodell aufgezogen. Solche Clubmodelle gehören nach meiner Beobachtung auch in vielen anderen Projekten zu den Erfolgsfaktoren. Sie sorgen für den informellen Charakter, der es spannend macht, sich hier zu engagieren. In fertige Programme möchte man nicht einsteigen. Den nötigen Entfaltungsraum für eine eigendynamische Gesellschaftsentwicklung eröffnet man also am besten in einer guten Mischung aus bottom-up und top-down. Wobei man gut daran tut, kreative Stadtmacher und kulturelle Stadtentwickler mit ihren „anderen“ kommunikativen Haltungen und Fähigkeiten als Motoren und (Ko-)Moderatoren der neuen Gemeinschaftsaufgaben zu engagieren. Die kooperative Art, wie sie Creative Places im Rahmen des Community-Managements organisieren, ist meines Erachtens auch gut übertragbar auf das Zentren- und Quartiersmanagement. Anstatt beim Quartiersmanagement weiterhin zu segmentieren – hier das soziale Management, dort das Ansiedlungsmanagement und dort das Leerstandsmanagement – braucht man Konsortien sowie eine aktivierende Stadtentwicklung, verstanden als Begleitung sich selbst regulierender, eigendynamischer, kreativer Ökosysteme – auf Basis eines gemeinsamen Mindsets und gemeinsamer stadtentwicklungspolitischer Orientierungen.

Die Neue Leipzig Charta schreibt auch die Schaffung sicherer öffentlicher Räume als Ziel fest. Ist da noch vor allem der behördlich-staatliche Kümmerer gefordert?

Munzinger: Keine Frage, es gibt in Deutschland eine klare Zuständigkeit für Sicherheit und die liegt beim Bund und den Ländern. Aber ob Menschen sich an einem Ort sicher fühlen, dafür spielen auch weiche Faktoren eine maßgebliche Rolle. Es hängt zum Beispiel auch davon ab, wie ein Ort subjektiv wahrgenommen wird. Und hierbei ist jeder angesprochen. In Japan sorgen Ehrenamtliche auf großen Straßen und Plätze durch Hilfe und Unterstützung für ein sicheres Gefühl. Da gibt es wirklich viele unterschiedliche Ansätze mit unterschiedlichen Akteuren. Auf jeden Fall sollte es ein Miteinander sein, in dem das geschieht. Es reicht nicht, wenn nur oft genug der Reinigungsdienst durchs Quartier fährt.

Schmidt: Die Lebensstile und Quartierstypologien sind vielfältig. Ich vermute, ein hoher Anteil der Bevölkerung möchte eher wie im Hotel leben. Man hat einen stressigen Arbeitsalltag und freut sich, dass es für alles einen Service gibt. Der Außenraum vieler Quartiere hat dann häufig den Charakter einer angenehmen, aber auch anonymen Kulisse. Wir beobachten heute aber auch die Tendenz, dass eine solche anonyme Öffentlichkeit in eine informelle Öffentlichkeit verwandelt wird. Menschen fühlen sich zuständig und übernehmen Verantwortung. Die psychologischen Mechanismen, die da wirken, hat Herr Munzinger schon angedeutet. Das Phänomen: man fühlt sich geborgener, sicherer und mehr zuhause an einem Ort, wo man auch selber zuständig ist, zusammen mit Nachbarn oder gleichgesinnten Communities.

In der Tat reiben sich viele Menschen heute sehr für ihren Job auf. Ist es womöglich zu optimistisch, von einer allzu großen Zunahme des bürgerschaftlichen Engagements auszugehen?

Schmidt: Ich habe viel mit Studierenden zu tun und beobachte: Die Mitglieder der Generationen Y und Z wollen sich nicht mehr nur durch ihre Arbeit profilieren, sondern sich einbringen, um in einem Wohn- und Arbeitsumfeld zu leben, in dem sie sich wohlfühlen – zusammen mit anderen. Ermöglichungskultur und die Förderung der schon mehrfach erwähnten Creative Places und Communities, in denen sich häufig Empowerment, New Work, Clubkultur und Gründerkultur miteinander verzahnen, scheinen mir hier ein Schlüssel zu sein. Und noch eine Beobachtung: In manchen Creative Places und Communities, gerade in kleineren Städten, mischen zunehmend auch etablierte Stadt- und Immobilienentwickler, Wirtschaftsförderer, sowie Vertreter*innen aus Kultur und Bildung mit - z.T. auch an vorderster Front. Hier entstehen neue, informelle, ganz unkomplizierte Gemeinschaften, die etwas bewegen und sich ihre Stadt zum Leben und Arbeiten gestalten wollen. Der Appetit kommt dabei häufig beim Essen: Machen kann beflügeln. Aus kleinen Erfolgen wird mehr. In der Anfangsphase läuft das meist erstmal im Schneckentempo. Aber dann kann sich das auch wie ein Schneeball entwickeln. Das kann man als Kommune nutzen und fördern.

Munzinger: Ich glaube nicht, dass das alles ganz lustig von alleine läuft. Deswegen ist es wichtig zu unterscheiden: Es gibt eine Grundzuständigkeit der Kommune für die „normale“ Daseinsvorsorge. Die kann und soll auch nicht durch neue, informelle Strukturen ersetzt werden. Informelle Aktivitäten kommen on top, um die Dinge noch besser, individueller und innovativer zu machen.

Zu den Gesprächspartnern:

Professor Reiner Schmidt lehrt an der Hochschule Anhalt Stadt- und Freiraumentwicklung und erforscht im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik die stadtentwicklungspolitischen Potenziale von kreativen Akteuren, derzeit in der Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“ unter Moderation des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung sowie Stadt als Campus e.V.

Dr. Timo Munzinger ist beim Deutschen Städtetag zuständig für das Thema Städtebauförderung. Er hat einen Überblick über die Herausforderungen und innovativen Lösungsansätze in großen und kleinen Städten.