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Nationale Stadtentwicklungspolitik

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Foto des aufgeschlagenen Magazin mit dem Bild des Innenraum eines U-Bahn-Waggons, der bis zu den Sitze wie ein Swimmingpool mit blau glitzerndem Wasser gefüllt ist und dem Titel: Was wäre, wenn ... in Nürnberg der Asphalt schmilzt?

Stadt im Stress

Das Memorandum Urbane Resilienz zeigt, was Städte brauchen, um resilienter gegen Krisen zu werden. Ein Gespräch mit Dr. Peter Jakubowski, Abteilungsleiter für Raum- und Stadtentwicklung im BBSR und Prof. Dr. Detlef Kurth, TU Kaiserslautern und Vorsitzender der für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SRL e.V.).

Im stadt:pilot 20 richten wir den Fokus auf das Thema Stadt und Klima, das 2021 besonders im Fokus der Aufmerksamkeit stand. Aber neben dem Klima gibt es natürlich auch noch eine ganze Reihe anderer Anpassungszwänge, die Städte unter Stress setzen. Welche weiteren Faktoren sehen Sie da?

Jakubowski: Das Thema Klima hat – und das haben wir 2021 ganz deutlich gesehen - viele Facetten. Solche, die mit akuten und dramatischen Naturkatastrophen zusammenhängen, wie Sturzfluten, Überschwemmungen oder Stürme, und solche wie Hitze und Dürre. Hinzu kommt die Ungewissheit, wie es mit der Covid19-Pandemie weitergeht. Zudem wissen wir, dass die EU-Kommission das „Aus“ für den Verbrennungsmotor entschieden hat und es mittelfristig zu regionalen Schocks auf dem Arbeitsmarkt kommen wird. Darüber hinaus sehen wir viele Krisen weltweit – Stichwort Afghanistan -, die uns auch hier in Deutschland vor neue Aufgaben stellen, für die es noch keine eingeübten Lösungsmuster gibt. Wir müssen also wieder lernen, dass nicht immer alles gut geht. Es bedarf eines neuen Bewusstseins und Verständnisses für Resilienz. Wir können nicht in einer Einzelfallbetrachtung immer nur dann Themen aufgreifen, wenn sie akut und krisenhaft vor der Tür stehen. Es geht darum den Blick zu verändern und die einzelnen Themen und Zusammenhänge aus der Resilienzperspektive zu betrachten und zu bewerten. Das ist aus meiner Sicht eine ebenso wichtige, wie auch extrem komplexe Herausforderung.

Können Sie kurz umreißen, was mit Resilienz gemeint ist?

Kurth: Ich verstehe das wie Herr Jakubowski sehr umfassend, sehr integriert und präventiv, vorausschauend, wie ja auch die Planungsprofession grundsätzlich schon immer angelegt ist. Forschungsergebnisse zum Klimawandel und zur Resilienz liegen ja vielfach vor. Aber wie das so ist, es wird nicht oder nur partiell wahrgenommen. Jetzt wurde uns der Begriff Resilienz für das Memorandum vom Bund gesetzt. Und ich muss sagen, dass ich damit zunächst etwas gehadert habe. Wissen Sie, Resilienz bedeutet nämlich im engen Wortsinn „zurückfedern“, in den Ursprungszustand zurückspringen, also robust sein, hart sein. Das war uns im Expertenkreis zu eng. Daher haben wir uns in dem Memorandum Urbane Resilienz an der Definition von UN-Habitat und den Ansätzen des BBSR orientiert. Hier wird die Perspektive geweitet und hervorgehoben, dass ich neben dem Zurückfedern auch die Anpassung brauche. Vorbereiten, Prävention, Klimaanpassung, Veränderung, Transformation. Beim Wiederaufbau im Ahrtal muss ich überlegen, an welcher Stelle ich das tue. Da wäre der reine Wiederaufbau fatal.

Was ist die zentrale Botschaft des Memorandums Urbane Resilienz und an wen genau richtet es sich?

Kurth: Der Expertenkreis zur Erarbeitung des Memorandums wurde im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik unter Federführung des damaligen Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) anlässlich der Pandemie einberufen. Gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft haben wir im Rahmen eines interdisziplinären Prozesses die Herausforderungen und Ansätze einer auf Resilienz ausgerichteten, integrierten Stadtentwicklung sondiert und in dem Memorandum zusammengetragen. Wesentliches Ziel war es, das Katastrophenbewusstsein in Deutschland zu schärfen und die Aspekte der Risikovorsorge systematisch im Planungssystem zu verankern. Klar, das ist immer auch eine Ressourcenfrage, die wir mit dem Memorandum nicht lösen konnten. Daher geht es im nächsten Schritt nun um die Klärung der Grundfrage, wie viel unsere Gesellschaft bereit ist für Prävention auszugeben. Und so den Schaden und die Folgekosten im Falle einer Katastrophe vorausschauend zu begrenzen.

Wie wird das nun handhabbar für eine Stadt? Sind Robustheit und Anpassungsfähigkeit messbar? Kann man das operationalisieren?

Jakubowski: Ein wichtiger Punkt ist, dass wir zu einer größeren Wahrnehmbarkeit kommen, die das bisherige Leitbild der Nachhaltigkeit um Resilienz ergänzt. Dafür müssen wir mit allen Verantwortlichen sprechen und jetzt intensiv in die Diskussion einsteigen. Ziel sollte es sein, dass die Kommunen ressortübergreifend und interdisziplinär Stresstests auf ihrer Ebene durchführen, und zwar eigenständig. Denn das relevante Wissen und die entsprechenden Daten liegen den Kommunen vor, um eine übergreifende Bestandsaufnahme durchzuführen und Missstände zu identifizieren, bei denen systematisch zu wenig in Vorsorge investiert wird. Ob das jetzt eine Abhängigkeit von einer technischen Infrastruktur ist, ob das ein Flusshochwasser ist, eine besonders hohe Quote von Jugendlichen ohne Schulabschluss oder andere Komponenten, die Vulnerabilitäten aufzeigen. Das ist ein ganz wichtiger Faktor, der uns im Sinne des Memorandums weiterhelfen kann.

Dieser Stresstest wäre also das Instrument, mit dem sich erfassen ließe, wie eine Stadt im Hinblick auf ihre Resilienz aufgestellt ist. Die Ergebnisse des Stresstests wären dann direkt in einen Maßnahmenplan umsetzbar, ist das so richtig?

Jakubowski: Ja, das würde ich so sagen. Er könnte zumindest die Basis für einen Maßnahmenplan bilden. Resilienz lässt sich nicht absolut messen. Es wird also immer darum gehen, dass ich mich mit strukturell ähnlichen Städten vergleichen muss, um dann die lokal passenden Maßnahmen abzuleiten.

Wie kann es gelingen, diese zentralen Aspekte von Resilienz stärker und auch dauerhaft als Querschnittsthema in der Stadtentwicklung und der Förderung zu verankern?

Kurth: Risikovorsorge und Risikomanagement sollten systematisch in der Stadtentwicklungsplanung verankert werden. Problematisch ist und bleibt dabei das Thema der Ressourcenausstattung, sowohl hinsichtlich einer infrastrukturellen Reserve für den Katastrophenfall, zum Beispiel eine Halle, wo die Menschen unterkommen können. Aber oft fehlt einfach auch das Personal zum Bewältigen der Krise. Ein guter Anker ist die Städtebauförderung, in die man diese Aspekte implementieren kann, z.B. als Teil der vorbereitenden Untersuchungen. Neben den Ressourcen spielt auch die Kommunikation eine wichtige Rolle, um mögliche Krisen wieder im gemeinsamen Bewusstsein zu verankern. In den letzten Jahrzehnten haben wir in Deutschland im internationalen Vergleich fast immer Glück gehabt. Wir hatten und haben allgemein einen sehr hohen Wohlstand, so dass wir uns erst wieder angewöhnen müssen, mit Krisen zu denken und krisenbereit zu sein.

Sie haben angedeutet, dass auf kommunaler Ebene die Ressourcen aufgebaut werden müssen, damit sich die Kommunen kontinuierlich um diese Themen kümmern können. Wie kann das gelingen?

Kurth: Ich denke man braucht neben einer soliden Grundausstattung der Kommunen auch Impulse und Unterstützung durch die Städtebauförderung, die ja immer auch eine Vorbildwirkung hat. Zudem braucht es auch so etwas wie ein flächendeckendes Monitoring, eine Risikoanalyse als Pflichtaufgabe für die Kommunen.

Die lokalen Bedingungen sind natürlich überall sehr unterschiedlich. Können Sie vielleicht dennoch einen Eindruck von der Dimension geben, was resiliente Stadtentwicklung kostet und wie man diesem Aspekt der resilienten Stadtentwicklung noch mehr Rechnung tragen kann?

Jakubowski: Aus Erfahrung würde ich sagen, dass Städte und Gemeinden, die schon lange integrierte Stadtentwicklung betreiben, durchaus gut aufgestellt sind. Da, wo Wohnungsunternehmen mit der Kommunalverwaltung eng zusammenarbeiten, wo ich eine lebendige Zivilgesellschaft habe, da kann ich zum Beispiel auch auf die Integration Geflüchteter schneller und besser reagieren. Wer sich mittel- und langfristig um einen vernünftigen Stadtverkehr kümmert oder wer seine Flüsse schrittweise renaturiert hat, steht jetzt vergleichsweise gut da. Das ist schwer in Euro zu beziffern, grundsätzlich gilt, dass Vorsorge immer günstiger ist als Nachsorge.

Kurth: Grundlagen, um das wirklich zu beziffern, sind mir auch nicht bekannt. Das müssen wir vielleicht auch mal versuchen. Das Erarbeiten von Stadtentwicklungskonzepten, die 15-20 Jahre im Voraus strategisch planen, ist für viele Kommunen einfach zu teuer. Obwohl da wegweisende Analysen erarbeitet werden, die als Grundlage für strategische Entscheidungen im Sinne der Prävention genutzt werden können. Für ein Monitoring, eine Krisenprävention als kommunale Pflichtaufgabe, müsste es den politischen Willen geben. Aber es sind auch andere Instrumente nötig. Das BBSR forscht an Routinen, Methodiken und an einer Datenbasis. So könnte eine Art Präventions-Service entstehen und der ganze Prozess wäre für die einzelne Kommune nicht mehr so aufwendig.

Jakubowski: Ich glaube, dass sich angesichts der Erfahrungen im vergangenen Jahr keine Kommune gegen die Vorlage oder die Erarbeitung von Vulnerabilitätsanalysen stellen wird. Da müssen wir gemeinsam agieren und die Akteure in diesem Mehrebenensystem zusammenbringen – es geht schließlich um Menschen und um ihre Zukunft. Die Frage wird sein, wie wir es möglichst vielen Kommunen ermöglichen, Risikostudien und Anpassungsstrategien zu entwickeln und diese praxis- und handlungsorientiert aufzubereiten. Also ganz praktische Leitfäden entwickeln. Deshalb möchten wir den Stresstest Stadt voranbringen, und zwar so praxis- und handlungsorientiert wie möglich. Wichtig: Er sollte in kommunaler Hand liegen. Wir müssen vermeiden, dass Bund und Länder den Städten von oben herab erklären, was sie bedrängt. Das wissen die lokalen Akteure am besten selber. Außerdem möchten wir die Bildung von Taskforces auf kommunaler und auf Landesebene anregen, als Reserven für den Krisenfall, in die auch Kompetenzen aus der Zivilgesellschaft eingebunden werden. Denn wie bereits erwähnt: Wo bisher schon eine integrierte Stadtentwicklung gemacht wurde, dort sind Kommunen durchaus schon gut aufgestellt.

Zu den Gesprächspartnern:
Dr. Detlef Kurth ist Professor für Stadtplanung an der TU Kaiserslautern und Vorsitzender der Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SRL e. V.).
Dr. Peter Jakubowski ist Diplom-Volkswirt und Abteilungsleiter für Raum- und Stadtentwicklung im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung.