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Nationale Stadtentwicklungspolitik

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Im Vordergrund hängt ein Plakat in einem leeren Ladengeschäft, auf dem steht: Ideen gesucht für Erdgeschosse! Im Hintergrund ist eine Stadtsilhouette erkennbar.

Kann man Stadtleben kuratieren?

Ein Gespräch über Erdgeschosszonen und eine gute Nutzungsmischung mit Elke Plate und Rudolf Scheuvens

Eine gute Nutzungsmischung in Erdgeschosszonen ist für städtisches Leben entscheidend. Aber wie soll man es angehen und die Privateigentümer dafür gewinnen? Für Ausgabe 22 unseres Magazins stadt:pilot hat unser Redakteur Oliver Geyer zwei Fachleute aus Berlin und Wien interviewt. Wir veröffentlichen hier Auszüge des Gespräches.

Elke Plate ist im Referat Stadtentwicklungsplanung des Berliner Senats zuständig für Zentren, Wirtschaft und gesamtstädtische Entwicklungsstrategien. Das Konzept ihres Teams für ein Erdgeschossflächen-Management wird seit Anfang 2021 als Pilotprojekt der Nationalen Stadtentwicklungspolitik gefördert. Rudolf Scheuvens hat einen Lehrstuhl für Örtliche Raumplanung an der TU Wien und beschäftigt sich in verschiedensten Forschungsprojekten mit dem Thema Erdgeschossflächen-Management. Er war u. a. Vorsitzender des Beirates im neu gegründeten Wiener Quartier Seestadt Aspern.

Zwei Hände halten das Magazin stadt:pilot. Zu sehen ist das Cover der Publikation mit dem Titel stadt: pilot 22 / Die Stadt privat. stadt:pilot 22 Quelle: BBSR /stadt:pilot 22, Cover

Herr Scheuvens, warum ist das Kuratieren von Erdgeschossflächen überhaupt nötig, warum können wir die Dinge nicht sich selbst und dem Markt überlassen? 

Scheuvens: Die Sockelzonen sind bedeutend für das Leben der Stadt und bilden die Kontaktstelle zwischen dem privaten und öffentlichen Raum. Ihre Nutzung wurde bisher stark über ökonomische Prinzipien geregelt, aber diese Determinierung bricht allmählich weg. Durch den verstärkten Online-Handel gibt es einen massiven Wandel. Die Mieterwartungen der Eigentümer sind oft nicht mehr kompatibel mit den Erlösen, die in diesen Ladenflächen zu erzielen sind. Deshalb ist die Frage: Was können wir planerisch tun, um Erdgeschosse mit neuer Kraft zu versehen, welche neuen Trägermodelle können stimulierend wirken? Allerdings entziehen sich diese Zonen klassischen Planungszugängen: Man kann noch so viele Pläne machen, wie schön kleinteilig und belebt alles werden soll – wenn die lokalen Akteure nicht mitziehen, landet das in der Schublade. Wir müssen deshalb über andere Mechanismen der Planung reden!

Berlin wirkt lebendig und vielfältig. Warum sehen Sie auch hier Handlungsbedarf, Frau Plate?

Plate: Berlin hat eine Einzelhandels- und Zentrumsstruktur, die in ihrer Individualität und Polyzentralität in der Tat einzigartig ist. Trotzdem beobachten wir auch hier die Trends, die Rudi Scheuvens angedeutet hat und die sich durch die Pandemie noch verstärkt haben. Zu den veränderten Konsum und Distributionsmustern kommen erschwerend ein Fachkräfte- und Nachfolgemangel bei den Einzelhändlern. Da sind Anbieter im Vorteil, die Personal und Kosten sparen können, etwa Discounter. Zudem sehen wir aktuell, wie sich Krisen überlagern und die steigenden Energiepreise die Zentren zusätzlich belasten. Aus all diesen Gründen ist es für die öffentliche Hand wichtig, sich um die Erdgeschossflächen kümmern. Ich beziehe mich da ganz konkret auf die Neue Leipzig-Charta und das Ziel gemeinwohlorientierter Stadtentwicklung. Für eine resiliente Stadt braucht es eine Nutzungsvielfalt in den Erdgeschossflächen und einen sehr bewussten planerischen Umgang damit. Die Frage ist: Wie ist das leistbar angesichts des steigenden Preisdrucks auf dem Berliner Boden- und Immobilienmarkt? Das ist eine Herkulesaufgabe, an die man kreativ herangehen muss.

Eine Hand hält das Magazin stadt:pilot, das aufgeschlagen ist. Zu lesen ist die Überschrift: Kann man Stadtleben kuratieren? stadt:pilot 22 Quelle: BBSR /stadt:pilot 22, S. 23/24

Die Seestadt Aspern gilt als Role Model für kuratiertes Erdgeschoss-Management. Wie wurde dort vorgegangen?

Scheuvens: Bei der Neugründung eines Quartiers würde sich ja normalerweise jeder einzelne Bauträger um die Nutzung seiner Erdgeschosse kümmern, was aber problematisch ist. Deshalb hat man Teile dieser Flächen einer GmbH übertragen, die das auf Quartiersebene managt. So wurde eine Staffelung der Mieten und ein Mieten-Pooling möglich: Unternehmen mit viel Gewinn zahlen mehr, andere weniger. Ich brauche Grundstücks- und Mietpreisbedingungen, die ganz andere Nutzungsmodelle ermöglichen. So kann ich gezielt potenzielle Mieter ansprechen und schon in der Aufbauphase eine Vielfalt schaffen.

Ähnlich wie in Nachtklubs bestellte Tänzer die Tanzfläche schonmal füllen, damit sich auch andere drauftrauen?

Scheuvens: So kann man das beschreiben. Nur geht der Pionier in solchen Quartieren eben stark ins Risiko. Es gibt noch keine Mantel-Bevölkerung und noch keine Frequenz. Das Kuratieren beinhaltet deshalb oft subventionierte Starter-Nutzungen. Wichtig ist, dass diese Finanzierungsmodelle bei aller Kreativität in der Startphase eine langfristige Strategie verfolgen. Die Pioniere dürfen keine Eintagsfliegen sein, sondern müssen zu Startern einer langfristigen Entwicklung werden. Wobei das im Neubau relativ »leicht« ist. Im Bestand ist das komplexer, weil es da eine Vielzahl von Eigentümern für ein koordiniertes Vorgehen zu gewinnen gilt.

Im Vordergrund hängt ein Plakat in einem leeren Ladengeschäft, auf dem steht: Ideen gesucht für Erdgeschosse! Im Hintergrund ist eine Stadtsilhouette erkennbar. Kuratierte Erdgeschosszonen Ideen gesucht! Neue Nutzungen in Berliner Erdgeschosszonen Quelle: BBSR /Marcus Glahn

 Wie soll das in Berlin im Bestand angegangen werden, Frau Plate?

 Plate: Die zentrale Frage ist: Wie erreicht man, dass sich Eigentümer von ihrer Einzelorientierung und reinen Renditebetrachtung ein Stück weit lösen und sich als Teil des Ganzen verstehen? So dass sie sich künftig in lokalen Netzwerken abstimmen mit denen, die ebenfalls vor Ort Geschäfte machen und Nutzungen anbieten, egal ob kommerzieller, sozialer oder kultureller Art. Auf diesen Dreiklang von Eigentümern, lokalen Akteuren und Kommune kommt es an! Hier sollte die öffentliche Hand klug moderieren und dafür sollte sie sich das Hauptinteresse der Immobilieneigentümer vor Augen halten: Die Lage, die Lage und die Lage! Also können wir ihnen aufzeigen, dass die oben skizzierte Nutzungsvielfalt den Aspekt Lage zukünftig entscheidend ausmachen wird. Die Lage ist der Standort in seiner ganzen Konfiguration und Raumqualität. Dass diese Argumentation durchaus verfängt, erleben wir aktuell bei dem Wettbewerb »Mittendrin Berlin«, der Anklang findet und in den private Akteure spannende Ideen einbringen.

Scheuvens: Im Grunde würde auch nichts dagegensprechen, selbst im Bestand die Erdgeschosse eines Viertels als einen Pool zu betrachten, wo jeder eine Mindestmiete bekommt, wahrscheinlich unter dem vermeintlich marktüblichen Niveau. Aber klar, die Absichten der verschiedenen Beteiligten sind an solchen Orten höchst unterschiedlich. Das zusammenzubinden, wäre eine Challenge. Im Bestand ist auch schon viel erreicht, wenn die öffentliche Hand Eigentümer gut berät: Auf unrealistischen Gewinnerwartungen zu beharren und Räume leerstehen zu lassen, ist ökonomischer Unsinn. Besser ist es, gleich die notwendigen Anpassungen für flexiblere Nutzungen vorzunehmen.

Eine Hand hält das Magazin stadt:pilot, das aufgeschlagen ist. Zu sehen sind der Auszug eines Interviews und die Porträtfotos der Interviewten Elke Plate und Rudolf Scheuvens. stadt:pilot 22 Quelle: BBSR /stadt:pilot 22, S. 25

Das vollständige Interview, in dem es auch um Strategien zur Einbindung der kreativen Szene und um ein verändertes Rollenverständnis der öffentlichen Hand geht, lesen Sie in Ausgabe 22 des stadt:piloten.

Weiterführende Links:

stadt:pilot Ausgabe 22 zum PDF-Download

Mehr zum Pilotprojekt Kuratiertes Erdgeschossmanagement

Elke Plate in unserer Porträtserie "Ich mache Stadt gemeinsam, weil..."